KREUZENZIAN-AMEISENBLÄULING
SCHMETTERLINGSRAUPE MIT TARNKAPPE


(Foto: Frank Grawe)
Wenn im Frühsommer die Kalkmagerrasenflächen bei Willebadessen in voller Blüte stehen, gaukeln bei sonnigem Wetter Dutzende unterschiedlicher Schmetterlingsarten über die Hänge. "Manche Besucher kommen gezielt hierher, weil sie den Kreuzenzian-Ameisenbläuling sehen wollen", verrät Frank Grawe, Mitarbeiter der Landschaftsstation des Kreises Höxter, "dabei ist dieser Falter äußerlich eher unspektakulär." Tatsächlich fällt der kleine mattblaue Schmetterling zwischen den größeren Arten wie Schachbrett, Perlmutterfalter und Schwalbenschwanz kaum auf. Bei Fachleuten berühmt ist er auch nicht wegen seines Aussehens, sondern wegen seiner ungewöhnlichen Biologie.
Ohne Weidetiere kein Enzian


(Foto: Frank Grawe)
Ameisen als Adoptiveltern
Als hätte man einen Schalter umgelegt, stellt die kleine Raupe im Spätsommer plötzlich ihre vegetarische Ernährung ein, verlässt den schützenden Blütenstand und lässt sich auf den Erdboden fallen. Für andere Raupen wäre das ein sicheres Todesurteil – nicht wegen der Fallhöhe von 20 Zentimetern, sondern wegen der dort patrouillierenden Knotenameisen. Normalerweise fackeln die nicht lange, wenn sie auf zarte Raupen stoßen. Mit ihren scharfen Kieferzangen tranchieren sie jedes weichhäutige Insekt in Sekunden und verfüttern es an die eigene Brut. Das Bläulingsräupchen jedoch verfügt über eine chemische Tarnkappe. Es wird nicht als Beute betrachtet, sondern für eine hilflose Ameisenlarve gehalten und in den Bau getragen. Dank eines die Ameisen betörenden Duftsekrets lebt das Kuckuckskind in den folgenden Monaten nicht nur mitten im Nest seiner potenziellen Todfeinde, es lässt sich von diesen auch mit nahrhaftem Proteinbrei füttern. Doch damit nicht genug. Wissenschaftler beobachteten, dass das Räupchen auch dann sein Drei-Sterne-Menü bekam, wenn Nahrung knapp war und die echten Ameisenlarven auf halbe Ration gesetzt wurden. Außerdem bringt das Ameisenvolk bei Gefahr zuerst die Falterraupe in Sicherheit und dann erst den eigenen Nachwuchs. Offenbar genießt die Raupe Privilegien, die sonst nur der Ameisenkönigin vorbehalten sind.
Lauschangriff im Ameisennest
Mit hochempfindlichen Mikrofonen kamen die Wissenschaftler dem Geheimnis auf die Spur: Die Schmetterlingsraupe ist in der Lage, die Stimme der Ameisenkönigin zu imitieren und so ihre Zieheltern zu täuschen. Tatsächlich verständigen sich Knotenameisen im stockdunklen Nest nicht nur mit chemischen Botenstoffen, sondern auch mit Lauten, besser gesagt, durch bestimmte Vibrationen, die sie mithilfe gerippter Chitinleisten an ihrem Hinterleib erzeugen. Der Befehlston der Königin klingt allerdings anders als die Sprache des gemeinen Volkes. Wenn die königliche Stimme ertönt, lassen Arbeiterinnen ihre normalen Tätigkeiten ruhen und stehen sofort bei Fuß. Wie die Falterlarve das entsprechende Vibrato hervorbringt, ist noch nicht ganz klar. Es gilt aber als erwiesen, dass sie die königliche Sprechweise sowohl im Raupen- wie im Puppenstadium beherrscht. Tarnkappe und "Fremdsprachenkenntnisse" verliert das Tierchen erst, wenn es im folgenden Juni als fertiger Falter aus seiner Puppenhülle schlüpft. Dann wird es noch einmal spannend: Wenn der Bläuling jetzt nicht ganz schnell die Höhle des Löwen verlässt, endet er doch noch zwischen den Beißzangen der Ameisen.
Mehr als nur ein Bläulingsbiotop
Es versteht sich von selbst, dass der hochgradig gefährdete Falter nur dort leben kann, wo es auch Kreuzenzian und Knotenameise gibt. Und auch die Bedürfnisse der erwachsenen Falter müssen erfüllt sein: trockenwarme Magerrasen, am liebsten mit Horn- oder Hufeisenklee als Nektarquelle. Im Kreis Höxter ist diese sehr spezielle Kombination gegeben. Das ist aber keineswegs selbstverständlich. Die ehemals ausgedehnten Magerrasen waren zwischenzeitlich stark geschrumpft, viele waren brach gefallen und aufgeforstet oder stärker gedüngt worden. Seit die Mitarbeiter der Biologischen Station wissen, welche Schätze sie hüten, setzen sie alles daran, die Hänge für diesen und viele weitere Schmetterlingsarten attraktiv zu erhalten. Dafür müssen junge Bäume und Sträucher beseitigt und eine regelmäßige, aber naturschonende Beweidung organisiert werden. Von der richtigen Bewirtschaftungsdosis profitiert dann nicht nur der Kreuzenzian-Ameisenbläuling, sondern alle Mitglieder der Lebensgemeinschaft.
Von Admiral bis Zipfelfalter
Sie kennen Schornsteinfeger, Scheckenfalter, Widderchen und Wiesenvögelchen nicht? Dann sollten Sie den Schmetterlingspfad bei Willebadessen besuchen. Auf dem 3,5 Kilometer langen Erlebnispfad werden Sie zu den besten Tagfalterrevieren des Kreises Höxter geführt. Auf acht Infotafeln erfahren Sie viel Wissenswertes über die Pflanzen- und Tierwelt der trockenwarmen Muschelkalkhänge. 50 verschiedene Arten von Tagschmetterlingen wurden hier bisher nachgewiesen. Der Schmetterlingspfad berührt oder quert auch einige der insgesamt 42 Hektar großen Flächen, die von der NRW-Stiftung für Zwecke des Naturschutzes erworben wurden. Falls Sie bei Ihrem Besuch auffällige Beobachtungen machen oder Fragen zu Flora und Fauna haben, können Sie sich an die Landschaftsstation im Kreis Höxter wenden. Die betreut die Naturschutzgrundstücke der NRW-Stiftung im Kreis und hat auch den Schmetterlingspfad, einen Abschnitt des Hitgenheierwegs, mitentwickelt. Übrigens: Hitgenheier heißt Ziegenhüter.
Landschaftsstation, Zur Specke, 34424 Borgentreich, www.landschaftsstation.de
Stand der Angaben: Stiftungsmagazin 2/2012
