ARTENSCHUTZPROJEKT FLUSSPERLMUSCHEL IN DER EIFEL
PERLEN DER NATUR


Erstmals aktenkundig wurden die Eifeler Flussperlmuscheln im Jahr 1667, als der Landesherr, Pfalzgraf Philipp Wilhelm, Herzog von Jülich, per Dekret das Muschelfischen verbot. Dass sein Motiv nicht der Artenschutz, sondern der Eigennutz war, braucht man wohl nicht zu betonen. Doch niemand wusste genau, ob und wie viele Perlen in den Bächen zu holen waren. Es war ein Schatz, der sich nicht schätzen ließ. Deshalb schickte der Herzog den Gutachter Ossenbruch in die Eifel, der "den Perlenmuscheln nachzusehen" hatte. Misstrauisch wie er war, stellte der Fürst diesem noch zwei Begleiter an die Seite. Ihre einzige Aufgabe war es, die Unterschlagung von Perlen zu verhindern. Kein Wunder, dass die Spesen der Dienstreise weit höher waren als der Wert der mickrigen Perlen, die Benedikt Ossenbruch in einer versiegelten Schachtel nach Düsseldorf brachte. Leider ist die Anzahl der Muscheln, die er dafür öffnen musste, nicht überliefert. Fachleute schätzen, dass im Schnitt nur jede 2.000ste Muschel eine Perle von mittlerer Qualität enthält. Das sogenannte "Perlregal", das den Muschelfang als fürstliches Privileg sichern sollte, hatte nicht den gewünschten Erfolg. Gier und Neugier der Untertanen wurden durch das Gesetz erst richtig angestachelt. Ein eigens bestellter Flurhüter, der Muscheldiebe verfolgen sollte, war überfordert. Auch mit dem Bau von zwei Galgen in Sichtweite des Baches war es nicht getan – die ortskundigen Viehhirten und Bauern wussten, wo und wann man Muscheln stehlen konnte, ohne erwischt zu werden. Ob je ein "Wilderer" aufgeknüpft wurde, darüber schweigen sich die Archive aus. Der Talabschnitt, wo die drohenden Galgen standen, ist jedoch namhaft: Noch heute bekommt mancher Naturfreund, der zur Narzissenblüte am Perlenbach entlangspaziert, eine Gänsehaut, wenn er beim Blick in die Wanderkarte plötzlich auf die Flurnamen "Galgendamm" oder "Galgenberg" stößt.
Als das Rheinland französisch und das Perlregal abgeschafft wurde, setzte ein kaum vorstellbarer Raubbau ein. Noch 1880 wurden karrenweise Muscheln weggefahren. Zwar stellte man Margaritifera margaritifera – wie die Flussperlmuschel wissenschaftlich heißt – unter Naturschutz, doch bis weit ins 20. Jahrhundert ging die ungesetzliche Entnahme weiter. So wurden beim Bau des Westwalls zahlreiche Muscheln mit dem Bachkies in die Bunker einbetoniert. Dass die Räuberei schließlich doch aufhörte, lag schlicht daran, dass es praktisch nichts mehr zu rauben gab. Dafür zog in der Nachkriegszeit neues Unheil auf. Es traf jetzt alle Muscheln, auch die, die in unzugänglichen Bachabschnitten überdauert hatten ...
SCHLAMMSCHLACHT IM KIESBETT


BACHFORELLEN ALS AMMEN
Ein weiteres Problem war lange Zeit der zu geringe Bestand an Bachforellen. Auf diese heimische Fischart ist die Flussperlmuschel schicksalhaft angewiesen, denn die mikroskopisch kleinen Muschellarven verbringen ihre ersten Lebensmonate in den Kiemen junger Forellen – wie Babys an der Brust einer Amme. Um die Perlmuschel zu retten, musste man also zunächst der Bachforelle auf die Flossen helfen. Das erforderte die Beseitigung zahlreicher Barrieren in den Bächen, denn sonst konnte sie ihre Laichplätze nicht erreichen. Wenn schon die gravierendste Vollsperrung in Form des Perlenbachstausees betonierte Realität war, so sollten doch wenigstens die Quell- und Seitenbäche zugänglich bleiben. Fast alle Nebengewässer waren aber, wo ein neu gebauter Weg sie querte, durch meterlange Betonröhren geführt worden. Wegen hoher Stufen und fehlenden Lichts mieden die Fische den Aufstieg. Wenn trotzdem einige ihr Glück versuchten, scheiterten sie im Gegenstrom, weil die glatten Innenwände keinen Halt boten. Dass solche unbedeutend erscheinenden Bausünden aus den 1970er-Jahren eine fatale Wirkung auf die Perlmuscheln haben könnten, hatte früher niemand für möglich gehalten.
Paradoxerweise trugen auch Teichanlagen, in denen Fische gezüchtet wurden, dazu bei, dass die Bäche aus Muschelsicht zunehmend "kinderfeindlich" wurden, denn in den künstlichen Stauhaltungen wuchsen meist gebietsfremde Regenbogenforellen heran. Diese taugten jedoch nicht als Muschel-Ammen. Außerdem stresste das erwärmte und überdüngte Wasser aus den Fischteichen die Tierwelt der Bäche. Ein von der Europäischen Union finanziertes Renaturierungsprojekt half jetzt, Rohre durch Brücken zu ersetzen, und machte den Rückbau von Fischteichen möglich. Seitdem geht es den Bachforellen deutlich besser, sodass diese wieder ihre "tragende Rolle" als Wirtsfische für die Muschellarven übernehmen können.
Nachdem sich die Lebensbedingungen dank des Zusammenspiels mehrerer Projekte und vieler Institutionen verbessert hatten, konnten sich die Naturschützer endlich an die überfällige Verjüngung der Muschelbestände machen. Eine Vermessung der letzten Exemplare belegte, dass fast nur noch Methusaleme vorhanden sind. Ihre Gesamtzahl liegt unter 40 Exemplaren, und fast alle haben 60 Jahre und mehr auf der buckligen Schale. Die Alterspyramide steht völlig auf dem Kopf. "Unsere große Chance ist, dass Muscheln bis ins hohe Alter fortpflanzungsfähig bleiben. Aber die biologische Uhr tickt", schildert Josef Wegge, Leiter der Biologischen Station im Kreis Aachen, den Ernst der Lage. "Wenn es jetzt nicht klappt mit dem Kinder segen, wäre Margaritifera margaritifera in ein paar Jahren aus der Eifel verschwunden."
VERGREISTE MUSCHELGESELLSCHAFT


Um Risiken für die erste Lebensphase auszuschließen und den Vermehrungserfolg sicherzustellen, durften die trächtigen Muscheln ihre Larven in einem künstlichen Gewässer, quasi einem Laborbach, zur Welt bringen. So weit, so erfolgreich. Was jetzt kam, gehorchte dem Prinzip "Risikostreuung". Falls es auf einem Weg Schwierigkeiten geben sollte, sichern die anderen Wege den Erfolg. Ein Teil der Larven erhielt deshalb Wildforellen als Ammen, ein anderer Teil wurde mit gezüchteten Bachforellen zusammengebracht.


Gewässerbiologin Heidi Selheim, für die das "Muschelbabysitting" schon Routine ist, erklärt, wie es weitergehen soll: "Wenn die Tiere einen Zentimeter groß sind, werden wir sie in einen engmaschigen Drahtkorb setzen, der mit Feinkies gefüllt ist, da können sie sich dann einbuddeln wie im Bachbett." Endgültig in die Freiheit entlassen will man die Muscheln erst in zwei bis drei Jahren. Projektleiter Stephan Miseré, der mit besonders viel Herzblut bei der Sache ist, strahlt Zuversicht aus: "Wenn der Schweiß, den wir uns während des Projekts schon von der Stirn gewischt haben, ein Gradmesser für den Erfolg wäre, dann hätten wir keine Sorgen mehr!" Schweißperlen hin, Perlmuscheln her, die Crew der Biologischen Station hat durch ihr Engagement, ihre Sachkenntnis und die ersten Teilerfolge inzwischen auch frühere Skeptiker überzeugt und wichtige Verbündete gewonnen. Damit der Erfolg der Anfangsphase auch zu einem glücklichen Gesamtergebnis führt, ist jetzt noch einmal finanzielle Hilfe dringend nötig. Für Stephan Miseré steht fest: "Der Name Perlenbach darf keine Episode in der Geschichte sein. Hier müssen auch in Zukunft Flussperlmuscheln leben."

WUSSTEN SIE SCHON ...


... dass Flussperlmuscheln mehr als 200 Jahre alt werden können? Das gelingt ihnen allerdings nur in den kalten Gewässern Skandinaviens. Die deutschen Muscheln können immerhin ein Alter von 120 Jahren erreichen. Da sie pro Jahr nur etwa 1–1,5 Millimeter wachsen, werden sie selten größer als 14 Zentimeter.
... dass Flussperlmuscheln zum aktiven Ortswechsel fähig sind? Dabei sind sie allerdings noch langsamer als die Schneckenpost. Schaffen sie mehr als einen Meter pro Tag, gehören sie schon zu den Sprintern.
... dass Julius Cäsar sich zur Eroberung Britanniens entschloss, weil er hoffte, dort Perlen zu finden? So beschrieb es jedenfalls der antike Historiker Caius Sueton (ca. 70–130 n. Chr.) in seinem Buch über die römischen Kaiser.
... was der Mädchenname Grete mit Margarine zu tun hat? Es ist die Perle im Namen! Sowohl "Margarete" als auch "Margarine" leiten sich von "margarita", dem antiken Wort für die Perle und ihre Farbe, ab – der Blumenname Margerite übrigens auch.
Stand der Angaben: Magazin "Die NRW-Stiftung", Ausgabe 1/2008
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